Als ich es zum Jahresausklang 2009 las, mußte ich an die Relevanzdebatte denken, die in diesem Jahr um die Wikipedia geführt wurde. Ich las nämlich etwas, das im Relevanzvergleich den berühmten Sack Reis in China tagesschauwürdig macht: Der Ortsverband Springe-Wennigsen (!) der Partei DIE LINKE schreibt in der Mitgliederzeitschrift Disput 12/2009, daß die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens "historisch nicht in neoliberalem, sondern in antikapitalistischem Denken" wurzelt.
Mir fiel das besonders auf, weil ich gerade auch das Buch "Meinungsmache" von Albrecht Müller las und darin zugedröhnt wurde von unreflektierter linker Propaganda, die kaum den Raum läßt, sich zu dem vordergründigen Gegenstand, nämlich dem der Aufklärung über Meinungsbildungsprozesse, Zugang zu verschaffen. Zumindest bis S. 200 (weiter hatte ich noch nicht gelesen) war das Buch eine Qual und hat sein Thema verschenkt. Die Hetze speziell gegen neoliberale Meinungsmache erdrückt den objektiven Erkenntnisgewinn. Man fühlt sich lesend als Zielgruppe linker Meinungsmache und reagiert unamüsiert.
Was sollte ich nun also davon halten, daß ein irrelevanter Ortsverband der Linken das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als "eine sozialistische Idee" darstellt? Für das BGE, das ja den Anspruch hat, humanistische Ziele mit neoliberalem Denken versöhnen zu wollen, ist "sozialistische Idee" das klassische Totschlagargument der Konservativen. Und es ist, wie im Buch "Meinungsmache" an anderen Beispielen dargestellt, einfach nur eine Behauptung. Wird eine bestimmt geäußerte Behauptung "aus verschiedenen Ecken" wiederholt, so frißt sie sich als wahr in den Hinterkopf. Egal um was für einen Unfug es sich handelt.
Die Linke diskutiert das Bedingungslose Grundeinkommen nicht wirklich. Ansonsten würde sie nicht irrelevante Ortsverbände vorschieben, das Thema zu besetzen, um es aus der relevanten Diskussion in der Partei herauszuhalten. Die Führungsriege der Linken lehnt es durchweg ab, und in der Mitgliederzeitschrift taucht es nur auf, um die Totschlagargumente wie "sozialistische Idee" zu beflügeln und damit die ernsthafte Diskussion auch in neoliberalen Kreisen zu beschädigen. Das BGE wird dadurch zwischen die politischen Fronten gezogen, von denen es sich aus gutem Grund fernhalten will.
Nichtsdestotrotz nennt der Artikel (der unter http://www.katja-kipping.de/serveDocument.php?id=34&file=f/2/7a6b.pdf auch im Netz zu finden ist) auch 5 konkrete "struktuelle Auswirkungen", die den "Zielen linker Politik" entsprechen. Damit stellt er eine willkommene Diskussionsgrundlage dar. Leider beginnen diese 5 Punkte mit dem Text "Das Bedingungslose Grundeinkommen führt, wenn es richtig organisiert wird, [...]". Die Frage, wie es denn richtig organisiert werden kann, wird nicht adressiert. Um zu unterstreichen, daß das aber die entscheidende Frage ist, hätte man zielführender also vielleicht auflisten sollen, was passiert, wenn es "falsch organisiert" wird. Ich möchte das hier einmal andeuten, indem ich die ersten drei Punkte aus dem genannten Artikel aufgreife und entsprechend umschreibe:
1. Das Bedingungslose Grundeinkommen führt, wenn es falsch organisiert wird, nicht zu einem ausgeglichenerem Arbeitsmarkt, denn gerade wer durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen existentiell bis hin zu einer gewissen kulturellen Teilhabe abgesichert ist, wird eher erhöhte als reduzierte Konsumwünsche haben, die eines zusätzlichen Einkommens bedürfen und wird weiterhin danach streben, sich durch gutbezahlte Arbeit seinen Komfort zu sichern. Und wer keinen solchen gutbezahlten Arbeitsplatz bekommt, der wird auch weiterhin von dem Leben, wie es die Menschen mit so einem Arbeitsplatz führen, wider Willen ausgegrenzt sein und sich als arbeitslos bezeichnen. Von einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt kann also keine Rede sein, zumal sich die Einkommensunterschiede zwischen arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen deutlich vergrößern werden, weil es keine Transferleistungen mehr gibt. Der Lebensstandard der zwei Klassen wird sich stärker unterscheiden, der Begriff "kulturelle Teilhabe" neu definiert. Ein Geldadel wird eingeführt, eine Unterschicht zementiert. Das BGE macht also eine Minderheit reich und hält die Mehrheit arm.
2. Die Arbeitsbedingungen in den Betrieben werden eher schlechter werden, weil das BGE weitere der heute im sog. 1. Arbeitsmarkt angesiedelten Berufe in den Niedriglohnsektor drängen wird, nämlich alle, in denen Personal ersetzt werden kann. Gut verdienen werden nur noch die ständig Verfügbaren, also die, die schon heute ihr Leben zugunsten einer Karriere aufgeben. Wer "vorübergehende Beschäftigung" auch nur andenkt, ist für den Arbeitgeber aus dem Hochlohnbereich irreversibel ausgestiegen. Und gerade die vermeintliche Existenzsicherung der Arbeitnehmer durch das BGE wird betriebliche Mitbestimmung endgültig in die Geschichte eingehen lassen. Die Zahl der durch Jobverlust insolventen Privathaushalte wird steigen. Die erhöhte Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit Klassenwechsels wird das Berufsleben noch stärker dominieren.
3. Da das Bedingungslose Grundeinkommen durch Abschaffung der Sozialversicherungs- und Rentensysteme, sowie durch Lohnsenkungen und erhöhte Umsatzsteuer finanziert werden wird, profitieren in erster Linie Reiche von seiner Einführung. Insbesondere in Kombination mit der weiteren Privatisierung staatlicher Systeme wie z.B. dem Krankenversicherungsschutz bewirkt es eine beschleunigte Verschiebung des Kapital- und damit Machtbesitzes zur finanziell herrschenden Klasse. Die Demokratie ist damit defacto abgeschafft und durch eine neue Aristokratie ersetzt. Die deutlich breitere Unterschicht wird über seinen Existenzerhalt hinaus keine Kaufkraft mehr besitzen. Der neoliberale Feudalismus ist verstärkt und das Volk nachhaltig einer eigenen Willensbildung beraubt. Bildung steht nur noch einer Elite zur Verfügung.
Klar skizziere ich hier genau die Entwicklung, die sich nur etwas langsamer auch ohne Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ergeben wird. Einziger Unterschied: Die Ausspitzelung, Entmündigung, Schikane und Zwangsarbeit im Hartz-4-Bereich fallen weg. Jedes BGE ist also besser als kein BGE. Aber anstatt das BGE destruktiv als eine "sozialistische Idee" umzudeuten (was es nun wirklich nicht ist), sollte sich die Linke mal konstruktiv überlegen, wie ein BGE mit "guten" strukturellen Auswirkungen konzipiert werden kann. Daß das geht, und daß die Zeit reif ist, ist unstrittig. Nur brauchen wir endlich eine konkrete Lösung, die konsensfähig ist. Wann werden endlich konkrete Programme überparteilich diskutiert? Und wann erreicht die Diskussion "relevante" Kreise in den Parteien?
Wie kann ich das unterstützen?
Mehr zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen in meinem Blog:
- Tag #286: “Vollbeschäftigung” (https://www.ipernity.com/blog/rumpel/175541)
- Tag #318: Bewegung (https://www.ipernity.com/blog/rumpel/184985)
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