B. Traven:
Ein deutsch- mexikanischer Mythos
Von Rolf Raasch Autor des Buches: B. Traven und Mexiko. Ein Anarchist im Land des Frühlings – Eine politisch-literarische Reise. Oppo-Verlag, Berlin 2006.
B. Traven (Geburtsdatum unbekannt; gest. 26. März 1969) scheint heutzutage nicht mehr so häufig gelesen zu werden, wie noch in den 1970er Jahren. Trotzdem gilt er von den Auflagezahlen her immer noch als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller überhaupt.
Um dem Namen B. Traven ranken sich unzählige Mythen. Unter dem Pseudonym Ret Marut war er in Deutschland zuerst Schauspieler, Regisseur, dann Redakteur und Revolutionär. Schließlich wurde er als B. Traven in Mexiko weltbekannter Autor von Bestsellern.
Travens "inoffizielle" literarische Sprache war Deutsch, obwohl er Zeit seines Lebens behauptete, US-Amerikaner skandinavischer Abstammung zu sein. Sein Englisch sprach er jedoch mit typisch deutschem Akzent.
Aber wer war dieser Mensch wirklich, der in seinen Büchern das Land Mexiko und seine Menschen so überzeugend lebendig werden ließ?
Traven beantwortete diese Frage stets so, dass seine wahre Identität im Verborgenen bleiben konnte. Jahrzehntelang hatte er sich die größte Mühe gegeben, sein Inkognito (Ret Marut, alias B. Traven, alias Berick T. Torsvan, alias Hal Croves) zu wahren und mit Mystifikationen und Fehlinformationen vielerlei Art zu untermauern.
Schon sein erster biografisch abgesicherter Name Ret Marut war ein Pseudonym, über dessen Bedeutung nur spekuliert werden kann. Die biografische Forschung war emsig bemüht, B. Travens wahre Identität zu ermitteln. Sie hat jedoch seine erfundenen Identitäten nur zum Teil widerlegen können, zum anderen Teil aber um neue Varianten bereichert. Seit den Forschungen von Rolf Recknagel und Karl S. Guthke gilt aber als unstrittig, dass sich hinter dem Pseudonym B. Traven niemand anderes verbirgt als der ehemalige Schauspieler und Journalist, Regisseur und Revolutionär Ret Marut, der vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland aufgewachsen ist.
Über die Anfänge von Travens abenteuerlichen Lebens kann nur spekuliert werden. Im "Neuen Theater-Almanach" des Jahres 1908 wird Ret Marut als Schauspieler und Regisseur genannt. In den Folgejahren tingelte er durch die Theaterprovinz und versuchte sich auch als Autor von Kurzgeschichten und Erzählungen in kleinen Provinzzeitungen.
Angesichts des Ersten Weltkrieges radikalisierte sich Marut politisch und gab seit 1917 in München die individualanarchistische und radikalpazifistische Zeitschrift "Der Ziegelbrenner" heraus. Nach dem Krieg geriet Marut ins Blickfeld, als er in herausragender Position an der bayerischen Räterepublik beteiligt war. Nachdem am ersten Mai 1919 Truppen der Reichsregierung in Bayern einmarschiert waren, um das Gesellschaftsexperiment gewaltsam zu beenden, konnte Marut erst im letzten Moment einem Erschießungskommando entkommen und musste untertauchen.
Die nächsten Jahre verbrachte er im Untergrund in Deutschland und anderen europäischen Ländern, bis er schließlich 1923 / 24 in London bei der Ausländerpolizei aktenkundig wurde. Im Februar 1924 wurde er von dort aus der Untersuchungshaft entlassen und dann verlor sich seine europäische Spur. Wahrscheinlich heuerte er, wie seine Hauptfigur "Gales" in seinem Roman "Das Totenschiff" als Kohlenschipper an, bis er endlich Ende Juni 1924 per Schiff in Tampico / Mexiko landete.
In seiner neuen Heimat machte sich Ret Marut daran, zukünftig unter dem Pseudonym B. Traven Romane und Kurzgeschichten zu veröffentlichen.
Unter diesem Namen erschien im Frühjahr 1925 im sozialdemokratischen "Vorwärts" eine Erzählung, und vom 21.Juni bis 16. Juli 1925 wurde dort sein Fortsetzungsroman "Die Baumwollpflücker" erstmals veröffentlicht.
Noch jahrelang führte Traven in Mexiko ein einfaches und von materiellen Einschränkungen geprägtes Leben. Mehrere Reisen in den damals noch wenig erschlossenen mexikanischen Bundesstaat Chiapas verschlangen seine Autorenhonorare aus Deutschland. Angestoßen durch seinen Anfangserfolg "Die Baumwollpflücker", sollte sich bis 1930 diese Situation jedoch radikal verändern.
Im Laufe von vier Jahren erschienen weitere vier Romane, ein Erzählungsband und ein Reisebericht beim gewerkschaftseigenen Verlag der "Büchergilde Gutenberg": "Das Totenschiff" (1926); es schlossen sich an "Der Schatz der Sierra Madre" (1927), "Der Busch" (1928) und "Die weiße Rose" (1928), "Das Land des Frühlings" (1928) sowie "Die Brücke im Dschungel" (1929).
Aber Travens Erfolg blieb nicht nur auf den deutschen Markt beschränkt und bis Ende der 1920er Jahre erfolgten zahlreiche Übersetzungen in andere Sprachen.
Die begeisterte Leserschaft scheint durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren vom Autor und seinem Werk fasziniert worden zu sein: Von der Aura des Geheimnisvollen, die den Autor schon zu dieser Zeit umgab, das (mit Ausnahme des "Totenschiffs") allen Werken gemeinsame mexikanische Milieu, das einem verbreiteten Fernweh entgegen gekommen war, sowie das Interesse einer bildungsorientierten Arbeiterschaft an sozialkritischer aber zugleich unterhaltsamer Lektüre. Im Zuge mehrerer Reisen durch Chiapas entstand ab Anfang der 1930er Jahre sein Hauptwerk, der sechsbändige "Mahagoni- oder Caobazyklus": "Der Karren" (1931), "Regierung" (1931), "Der Marsch ins Reich der Caoba" (1933), "Trozas" (1936), "Die Rebellion der Gehenkten" (1936) und "Ein General kommt aus dem Dschungel" (1940).
Mit großem Verständnis für die Indianische Urbevölkerung schildern diese Romane episch breit den Vorabend und die Anfänge der Mexikanischen Revolution, die Ausbeutung und schließlich den Befreiungskampf der indianischen Arbeiter in den "Monterías" (Holzfällerlagern), im abgelegenen und feuchtheißen Dschungel des Südens.
"Regierung" und "Der Karren" waren die letzten Bücher Travens, die in Deutschland erscheinen konnten, denn 1933 wurde die "Büchergilde Gutenberg" von den Nationalsozialisten übernommen. Traven übertrug die Rechte an seinen Werken auf die "Exil-Büchergilde" in Zürich, wo die weiteren Bände des Caoba-Zyklus erscheinen sollten.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erschien sein Werk in den deutschsprachigen Ländern nun aber wieder in vielen Verlagen und im Jahr 1958 war "Aslan Norval", Travens erster Roman seit langem, erschienen. Als inzwischen weltbekannter Autor mit Millionenauflagen wurde er regelrecht von Journalisten belagert, die sein Geheimnis lüften wollten: Angefangen 1948 in Acapulco, als Luis Spotas Reportage ein weltweites Echo hervorrief. Höhepunkt der Hatz auf ihn waren die 1960er Jahre, als der "Stern"-Reporter Gerd Heidemann den scheuen Autor, der seine deutschen biografischen Spuren immer noch öffentlich leugnete, in Panik versetzte.
Traven war erst spät in Mexiko sesshaft geworden, und zwar erst, nachdem er 1957 die Ehe mit der Mexikanerin Rosa Elena Luján eingegangen war. Traven, der die finanzielle Verwertung seiner Arbeiten vernachlässigte, übertrug diese Angelegenheiten der Literaturagentur seiner Frau, die fortan für die Wahrnehmung seiner Interessen zuständig war.
Er verkehrte mit prominenten Vertretern des kulturellen Lebens Mexikos, die sein Geheimnis kannten und wahrten, wie z.B. der Kameramann und Regisseur Gabriel Figueroa und die Maler Diego Rivera und David Alvaro Siqueiros.
Als Traven am 26. März 1969 zu hause starb, war sein Name in allen Gesellschaftsschichten ein Begriff. Auf seinem Wunsch hin wurde seine Asche von einem Flugzeug über den Regenwäldern von Chiapas verstreut.
Der Leipziger Travenforscher Rolf Recknagel hatte in detektivischer Kleinarbeit 1965 die personelle Identität zwischen B. Traven und Ret Marut nachgewiesen. Traven ermächtigte seine Witwe testamentarisch, die Identität von Ret Marut und B. Traven nun öffentlich zu bestätigen, nachdem er sie Zeit seines Lebens abgeleugnet hatte.
Aber wer der Mensch vor Ret Marut gewesen ist, bleibt auch weiterhin völlig im Dunkeln.
Werke:
* Marut, Ret: Der Ziegelbrenner. München / Köln 1917-1921. Faksimile-Nachdruck: Pinkus Genossenschaft Zürich / Verlag Klaus Guhl, Berlin (West) 1967
* Traven, B.: Der Wobbly. Buchmeister-Verlag, Berlin / Leipzig 1926
* Traven, B.: Das Totenschiff. Die Geschichte eines amerikanischen Seemanns. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1926
* Traven, B.: Der Busch. Büchergilde Gutenberg Berlin 1928
* Traven, B.: Der Schatz der Sierra Madre. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1928
* Traven, B.: Land des Frühlings. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1928
* Traven, B.: Die Brücke im Dschungel. Buchmeister-Verlag, Berlin 1929
* Traven, B.: Die Weisse Rose. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1929
* Traven, B.: Der Karren. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1931
* Traven, B.: Regierung. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1931
* Traven, B.: Der Marsch ins Reich der Caoba. Ein Kriegsmarsch. Büchergilde Gutenberg, Zürich, Wien, Prag 1933
* Traven, B.: Die Troza. Büchergilde Gutenberg, Zürich, Prag 1936
* Traven, B.: Die Rebellion der Gehenkten. Büchergilde Gutenberg, Zürich, Prag 1936
* Traven, B.: Ein General kommt aus dem Dschungel. Allert de Lange, Amsterdam 1940
* Traven, B.: Der dritte Gast und andere Erzählungen. Verlag Volk und Welt, Berlin (DDR) 1958
* Traven, B.: Aslan Norval. Verlag Kurt Desch, Wien, München, Basel 1960
* Traven, B.: B.T. (B. Traven). Mitteilungen No. 1-36. Verlag Klaus Guhl, Berlin (West) 1978
* Traven, B.: Ich kenne das Leben in Mexiko. Briefe an John Schikowski 1925-1932. Limes Verlag, Frankfurt am Main / Berlin 1992
* Traven, B. / Marut, Ret: Khundar. Ein deutsches Märchen. Verlag Klaus Guhl, Berlin o.J.
Eine Auswahl von Literatur über B. Traven:
* Beck, Johannes; Bergmann, Klaus; Boehncke, Heiner (Hrsg.): Das B. Traven-Buch. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1976
* Guthke, Karl S.: "Das Geheimnis B. Traven ist entdeckt" – und rätselvoller denn je. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1983
* Guthke, Karl S.: B. Traven. Biographie eines Rätsels. Büchergilde Gutenberg. Frankfurt am Main 1987
* Guthke, Karl S.: Ein literarisches Geheimnis. In Hielscher, Martin (Hrsg.): Fluchtort Mexiko. Ein Asylland für die Literatur, S. 17ff. Luchterhand Literaturverlag, Hamburg / Zürich 1992
* Guthke, Karl S.: B. Traven "in einem fernen Land": Die Begegnung mit dem Fremden in den Busch-Novellen. In Guthke, Karl S.: Die Erfindung der Welt. Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur. S. 461-484. Narr Francke Attempo Verlag, Tübingen 2005
* Guthke, Karl S.: Im Niemandsland der Sprachen: Macario und seine Abenteuer. In Guthke, Karl S.: Die Erfindung der Welt. Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur. S. 485-515. Narr Francke Attempo Verlag, Tübingen 2005
* Kramer, Bernd; Ludszuweit, Christoph (Hrsg.): Der Feuerstuhl und die Fährtensucher. Rolf Recknagel, Erich Wollenberg, Anna Seghers auf den Spuren B. Travens. Karin Kramer Verlag, Berlin 2004
* Ludszuweit, Christoph: B. Traven. Über das Problem der „inneren Kolonisierung“ im Werk von B. Traven. Karin Kramer Verlag, Berlin 1996
* Machinek, Angelika: B. Traven und Max Stirner. Der Einfluss Stirners auf das Werk von Ret Marut / B. Traven – eine literatursoziologische Untersuchung zur Affinität ihrer Weltanschauungen, Verlag Davids Drucke, Göttingen, 1986
* Ngouebeng, Ebol: Die Entwicklungsproblematik der mexikanischen Gesellschaft und die Indianerfrage in den Romanen von B. Traven. Centaurus, Pfaffenweiler 1996
* Raasch, Rolf: B. Traven und Mexiko. Ein Anarchist im Land des Frühlings – Eine politisch-literarische Reise. Oppo-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-926880-14-7
* Recknagel, Rolf: B. Traven, Beiträge zur Biografie. Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1966
* Wyatt, Will: B. Traven. Nachforschungen über einen "Unsichtbaren". Papyrus Verlag, Hamburg 1982
Quelle:Wikipedia
Sign-in to write a comment.