Als Rheinländer gehöre ich ja eigentlich einem Volksstamm an, der sich die gute Laune so schnell nicht nehmen lässt. Nicht umsonst gehört der folgende Satz zu unseren Grundüberzeugungen: "Et hätt noch emmer jootjejange." (Da es wohl keinen Kölsch-Übersetzer gibt, hier die standarddeutsche Version: "Es ist noch immer gutgegangen.")

Ob Hochwasser oder Erdbeben - der gemeine Rheinländer kann eigentlich aus so ziemlich allem ein fröhliches Happening machen. Auch der Umstand, dass deutsche Behörden gemeinhin wenig krisenfest sind - im Gegenteil selbst in ruhigen Zeiten oftmals unter Überforderung leiden - bringt uns nicht wirklich aus der Ruhe. Was nutzt denn ein effizienter Staatsapparat wie beispielsweise nebenan in Frankreich, wenn er seine Effizienz auch im Eintreiben von Bußgeldern beweist, womit der Verfasser dieser Zeilen leidige Erfahrungen gemacht hat (gottlob gemildert durch eine gute Rechtschutzversicherung...)

Nehmen wir da nur den "Bundeswarntag" am 10. September, der leider ein wenig von Corona überschattet wurde. An diesem Tag sollten Teile der kritischen Infrastruktur unseres Landes auf die Probe gestellt werden. Das Ergebnis war nicht wirklich überzeugend.

Faxe von leitenden Behörden landeten im Nirwana, da sich die Faxnummern untergeordneter Stellen geändert hatten. Falls sich jetzt jemand in technologisch entwickelteren Weltgegenden wundert: ja, deutsche Behörden lieben das Kommunikationsmedium Fax. Dieses ganze Interdings mit Email und so weiter ist, wie es unsere allerweiseste Bundeskanzlerin richtig festgestellt hat, Neuland. Also, zumindest für staatliche Akteure.

In besagtem Interdings findet man auch reizende Videos von Sirenen, die am "Bundeswarntag" zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges betätigt wurden, und sich anhörten wie die Paarungsrufe kettenrauchender Elche.

Auch auf die Warnmeldung in der App "NINA", die ich mir kurz vorher installiert hatte, warte ich bis heute. Vermutlich wird sie mir irgendwann im Laufe des Jahres von einem berittenen Boten zugestellt - verbunden mit dem tadelnden Hinweis, ich hätte keine Faxnummer...

Aber solche Belanglosigkeiten können mich nicht in meinem generellen Optimismus erschüttern. Und die Nachrichten von beginnenden Corona-Impfungen, die Bilder aus London zum Beispiel oder aus Tel Aviv, gaben mir auch in Bezug auf dieses gottverdammte Virus wieder Hoffnung und Mut. So sehr, dass ich mir erstmals seit Monaten wieder Reisedokumentationen auf YouTube anschaute - man möchte ja vorbereitet sein, wenn das gewohnte Leben wieder losgeht.

Nun gut, da wir gerade von Vorbereitung sprechen - die Diskrepanz zwischen dem Tempo, mit dem Großbritannien und erst recht Israel ihre Impfkampagnen starteten, und der etwas bräsigen Bürokratie hier in Deutschland, gab mir schon früh zu denken. Ausgerechnet die Regierungen von Boris Johnson und Bibi Netanyahu - nach Donald Trump die meist gehassten Männer in den deutschen Medien, gleichauf mit Viktor Orban und weit vor Wladimir Putin, Xi Jinping oder Kim Jong-un - hatten offenbar schon ein paar Pläne für Impfkampagnen in der Schublade. Demgegenüber schien mir bei uns eher eine gewisse Überraschtheit zu herrschen: "Was? Es gibt einen Impfstoff?? Echt jetzt??? Hmmm... Dann sollten wir jetzt mal anfangen zu planen."

Aber das ist natürlich nur das Bauchgefühl eines Marktradikalen, der staatlichen Stellen generell eher wenig zutraut. Doch in den letzten Tagen ist es die einfache Arithmetik, die mir die Freude auf das neue Jahr ziemlich vermiest.

Es ist erst wenige Tage her, dass die Online-Ausgabe der Tageszeitung "Welt" vermeldete, das Bundesgesundheitsministerium sei außerstande, in der ersten Kalenderwoche des Jahres 2021 weiteren Impfstoff an die Bundesländer auszuliefern. Dies führte direkt zu Protesten der Länder - u.a. auch vom Land Berlin.

Laut dem Artikel hatte Berlin in der ersten Charge 30.000 Impfdosen vom Bund erhalten, von denen man seit Impfbeginn, also in etwa einer halben Woche, 1.000 Dosen verimpft hätte. Nun mögen 2.000 Impfungen pro Woche für die bekanntermaßen nicht wirklich leistungsstarke Verwaltung Berlins ein heroischer Kraftakt sein... Bei diesem Tempo würde es aber etwa 1.900 Wochen dauern, um alle 3,8 Millionen Bewohner Berlins zu impfen.

Und ach, man benötigt ja zur Immunisierung 2 Injektionen Impfstoff, somit wären wir dann für die Durchimpfung Berlins bei 3.800 Wochen bzw. ca. 75 Jahren. Da für die Herdenimmunität ja wohl 60% ausreichen sollen, wäre die dann schon nach 45 Jahren erreicht - fast schon so schnell wie der Bau der Großflughafens...

Bundesgesundheitsminister Spahn hätte also ohne weiteres darauf hinweisen können, dass angesichts des geringen Impftempos in Berlin die verbleibenden 29.000 Impfdosen eine gewisse Zeit vorhalten sollten. Aber das wäre unsolidarisch gewesen, und das ist Herr Spahn nicht.

Zudem: wer sich an manche Kapriolen in Berlin erinnert, muss sich vorsichtig die Frage stellen, ob sich diese 29.000 Impfdosen überhaupt noch im Besitz der Verwaltung befinden, oder vielleicht in der Zwischenzeit bei einem der dortigen Familienclans gelandet sind. Vielleicht kann ja jemand, der in oder nahe Berlin wohnt, mal im Görlitzer Park nachschauen. Gegebenenfalls wird er vom ersten der dort tätigen Drogendealer ja angesprochen mit: "Was brauchst du, Bruder? Ich habe gerade Schwarzen Afghanen, Crystal Meth und Coronaimpfung im Angebot..."

Wobei: angesichts der bereits erwähnten, ziemlich unterentwickelten Effizienz der Berliner Verwaltung wäre es vielleicht gar keine schlechte Idee, die Verteilung des Impfstoffs in der Hauptstadt den Drogendealern zu überlassen. Das sind immerhin Profis...

Was für Berlin gilt, gilt natürlich noch lange nicht für den Rest des Landes - schon gar nicht für Bayern, diesen Freistaat im Süden, der mit großem Weitblick und harter Hand von Markus Söder regiert wird. Auch die bayerische Regierung protestierte gegen die Verzögerung bei der weiteren Auslieferung von Impfstoffen.

Nun läuft auch in Bayern natürlich nicht alles immer perfekt. Manche der Urlaubsrückkehrer, die im Spätsommer auf bayerischen Autobahnen auf Covid getestet wurden, warten vermutlich heute noch auf ihre Ergebnisse. Und als bei der Auslieferung der ersten Impfstoffe die Kühlkette unterbrochen wurde, geschah dies leider Gottes in Bayern. Aber gut, man muss auch mal ein Auge zudrücken können - auch der strenge Herr Söder kann das bestimmt, zumindest solange es nicht um die Fehler von anderen geht.

Auf die eine oder andere Schwachstelle des medialen Corona-Superhelden Söder hätte Spahn aber durchaus auch hinweisen können. Doch das wäre nicht nur unsolidarisch gewesen, sondern auch unklug, denn falls er dieses Jahr die Nachfolge von Frau Merkel antreten will, braucht Spahn die Unterstützung von Söders CSU. Und obendrein wäre Kritik an Söder derzeit auch unpopulär, denn der vermeintlich starke und hart durchgreifende Bayer (pardon: Franke natürlich) triggert im Wahlvolk längst vergessene Instinkte. Auch wenn es bisweilen den Anschein hat, als wären 80% der heutigen Deutschen direkte Angehörige der Familien Staufenberg, Scholl oder zumindest Schumacher - Zucht und Ordnung steckt doch irgendwie immer noch in uns drin.

Und pssst: ich darf so reden. Ich habe zumindest ein bißchen Migrationshintergrund...

Aber um auf das Thema Arithmetik zurückzukommen: anstatt auf gewissen Schwächen der protestierenden Landesregierungen herumzuhacken, verwies der Bundesgesundheitsminister in nobler Manier auf folgende Zahl. Ab Mitte Januar, so Spahn, stünden Deutschland jede Woche 670.000 Impfdosen zur Verfügung.

Die Zahl klingt zunächst einmal beeindruckend. 670.000 pro Woche, das macht im Monat etwa 2,8 Millionen. Und nicht vergessen: man muss zweimal geimpft werden, bedeutet also die Immunisierung von 1,4 Millionen Bewohnern "dieses unseres Landes" (wie Helmut Kohl gesagt hätte) pro Monat.

Nun leben in Deutschland 83 Millionen Menschen, übrigens "gut und gerne", wie wir noch aus dem CDU-Wahlkampf von 2017 wissen. Womit wir bei einer Dauer von 60 Monaten, vulgo 5 Jahren wären, bis Deutschland durchgeimpft ist. Oder etwa 3 Jahren bis zur Herdenimmunität.

Im Vergleich zu Berlin ist das natürlich "Warp Speed" (sorry, die Anleihe bei Trump musste jetzt sein...) Allerdings: ob die deutschen Gesundheitsbehörden es schaffen, die von BionTech gelieferten Impfdosen auch tatsächlich zu verimpfen, muss sich erst noch zeigen. Seien wir guten Mutes - oder tapfer...

Zumindest in meiner Heimat, dem Kreis Ahrweiler, ist man guter Dinge. Die Kreisverwaltung vermeldete unlängst, im hiesigen Impfzentrum könnten 200 Personen pro Tag geimpft werden.

Bei knapp 130.000 Einwohnern, die der Kreis hat, und den schon mehrfach erwähnten zwei Impfungen pro Person, sind wir hier an der Ahr spätestens in 1.300 Tagen alle immunisiert. Das sind gerade einmal dreieinhalb Jahre - warum jammere ich eigentlich?

Wenn nicht Bundestagspräsident Schäuble kurz vor dem Jahreswechsel eine seiner berühmten Andeutungen gemacht hätte. Die Deutschen, so Schäuble, sollten bezüglich des Impfstoffs nicht so egoistisch sein. Auch in der Dritten Welt müssten die Menschen ja geimpft werden. Und die Bundeskanzlerin redet ganz ähnlich.

Da werde ich dann hellhörig - ich meine mich zu erinnern, dass Aussenminister Heiko Maas kurz vor dem Übergreifen der Pandemie auf Deutschland eine Flugzeugladung Schutzkleidung in den Iran geschickt hat. Als Zeichen der Solidarität, wie er dann auf Twitter der ganzen Welt mitteilte.

Vielleicht verschenkt Deutschland seine Impfdosen ja - nicht wirklich aus Großherzigkeit, sondern aus Kalkül. Denn sollte jeder sehen, dass ein Land wie Deutschland nicht in der Lage ist, die Impfung seiner Bevölkerung in angemessener Zeit zu organisieren - das wäre wirklich schlimm. Der alte Grundsatz "Mehr sein als scheinen" ist preussisch, was ich als Rheinländer ungerne zugebe. Und Preußen ist schon längst Geschichte.

Und vielleicht wäre es auch gar nicht verkehrt, die deutschen Impfdosen zum Beispiel nach Afrika zu schicken. In Nigeria kommunizieren die Gesundheitsämter, wie ich kürzlich lernte, per mobiler App. Und nicht per Fax...

Nun, wir werden es rechtzeitig erfahren. Im Zweifelsfall von Heiko Maas - der kann wenigstens twittern...